Monday, August 31, 2009

Review: Ristorante Paradiso

Will man im Anime-Business massiv Kohle machen – was von Jahr zu Jahr schwerer wird – dann setzt man auf die gerade angesagten Standards. Zwei feine Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit wären K-ON! und Saki; beide Anime greifen auf die selben Standards zurück: nach Möglichkeit so kurz wie möglich berockte Schulmädchen, die noch jünger aussehen als sie eh schon angelegt sind; obligatorische onsen- und Strandepisoden; Fanservice und (homo-) sexuelle Innuendos; limitiertes intellektuelles Niveau; eingängige catch phrases (Azu~nyan~); etc pp. Und das klappt ausgezeichnet, beide Shows verkaufen sich wie blöde.

Aber nicht jedes Studio kann das auch (dafür ist ganz einfach kein Platz auf dem Markt), und das will sicherlich auch nicht jedes Studio. Auch dort sind Kreative am Werk, und die haben in erster Linie etwas zu erzählen und nicht zu verkaufen. Nicht jedes Projekt kann ein K-ON! sein, aber das muss es auch nicht: auch am Ende des Long Tails lässt es sich gut aushalten. Fuji TV weiß das: bereits seit 2005 werden für den noitaminA-Slot Anime ausgewählt, die sich nicht an die verkaufsstärkste Zielgruppe richten – und das mit einem solchen Erfolg, dass der Sender im Herbst letzten Jahres mit NOISE einen zweiten timeslot reservierte und nun auch jeden Donnerstag nachts  um 02:08 Anime ausstrahlt, die auf die ein oder andere Weise vom Standard abweichen. Die werden sich zwar nicht so prall verkaufen wie Saki – aber an Qualität sind sie um Welten voraus.  Drei Titel waren das bislang: Michiko to Hatchin, Ristorante Paradiso und Aoi Hana; und alle drei sind richtig prima. Vor kurzem habe ich Ristorante Paradiso – etwas verspätet – zu Ende schauen können; Anlass genug für ein kurzes Review.

Und so begab es sich zu Rom, in einer der verwinkelten Gassen der Altstadt, in einem kleinen Restaurant mit dem malerischen Namen casetta dell’orso, das so viel heißt wie Bärenhäuschen… ein wenig fängt es an wie ein Märchen oder eine Sage: das Mädchen Nicoletta reist vom Land in die große Stadt, um nach ihrer Mutter zu suchen. Diese hinterließ sie bei der Großmutter, weil ihr neuer Mann keine Kinder mochte. Nicoletta aber ist nun erwachsen geworden und will ihre Mutter stellen, nicht ohne Groll. Dabei stößt sie das besagte casetta, das dem Gatten ihrer Mutter gehört – und nur reife, gesetzte und vor allem bebrillte Herren beschäftigt. Köche, Kellner, der Sommelier: sie alle tragen nicht nur Brillen, sehr zum Gefallen von Nicolettas Mutter, sondern sind auch so charmant und elegant, dass kein Tisch lange leer bleibt. Zu viele Damen sind betört vom Personal, und auch um Nicoletta ist es bald geschehen. Claudio hat es ihr angetan, der höfliche und zuvorkommende cameriere, trotz des enormen Altersunterschiedes. Und so geht sie in diesem Ristorante Paradiso in die Lehre…

Slice of Life ist mittlerweile ziemlich übel beleumundet. Was kein Wunder ist, wird das Genre doch allzu häufig von eher mauen Shows in Beschlag genommen, die sich der Bequemlichkeit des Genres ergeben und mit dem Abspulen simpler 4koma-Gags zufrieden geben. Ristorante Paradiso macht das nicht nur anders, sondern besser. Im Gegensatz zu Anime mit kontinuierlichen storylines kann man im Slice of Life Schlaglichter setzen. Man kann den Blick schweifen lassen, so wie man sich in einem Café mit einer Tasse Macchiato zurücklehnen und durch das Schaufenster das Treiben auf der Straße beobachten kann. Das Setting bietet sich an: im casetta treffen sich viele Figuren, deren Geschichten jede für sich Augenmerk verdienen.

Da wäre etwa Gigi, der Wein- und Feinkost-Connaisseur und Halbbruder Lorenzos, des Besitzers des ristoranto.  Seine Geschichte ist die eines junges Mannes, der in ein konfliktreiches Familiengeflecht hineinwächst und sich mit seinen eigenen Schuldgefühlen auseinandersetzen muss, um seinen eigenen Platz im Leben zu finden. Der Koch Teo, der jüngste unter den Angestellten, war früher zornig und wusste einfach nicht, wohin es ihn treibt, was er im Leben erreichen will. Seine Chefin Vanna war in seinen Augen eine strenge und ungerechte Lehrmeisterin, aber an ihr wuchs er auch zu einem besseren Menschen und fand seinen Weg. Claudio, sein Kollege im Gastraum, ist ein gelassener, souveräner Mann – doch er begann als verschüchterter und verzweifelter Hilfskellner in einem Hotelrestaurant und war mehrfach kurz davor, aufzugeben, bis auch er etwas fand, wofür und wodurch er leben wollte.

Oft genug laufen derlei Geschichten ja Gefahr, ihre eigenen moralinsauren und beschränkten Lehren anzupreisen. Jede dieser Stories hätte ein simpel gestricktes Fallbeispiel sein können: was passiert, wodurch es sich ändert, was man daraus lernen kann. Das ist bei Ristorante Paradiso nicht der Fall – zum einen, weil die Geschichten genug Freiräume für Ambiguitäten und unperfekte Auflösungen lassen. Gigi etwa wird es nie loslassen können, dass er eine Teilschuld am Tod seines Vaters trug. Und Claudio ist trotz seiner ruhigen Art verunsichert und in der Schwebe, im Niemandsland. Seine Ehe ist schon lange vorbei, und doch kann er seinen Ehering nicht ablegen.

Letztlich sind all diese Geschichten Illustrationen für Nicolettas eigene, zahlreiche Dilemmas. Als junges Mädchen vom Land, noch am Anfang ihrer eigenen Entwicklung, ist sie auf einmal mit all diesen gesetzten Persönlichkeiten konfrontiert, die alle schon angekommen zu sein scheinen. Das kennt jeder, der in seinem Leben jemals einen Job anfing oder eben nicht mehr nur Leute des selben Alters um sich hatte – plötzlich ist man verunsichert und weiß nicht, wohin mit sich selbst. Aber Nicoletta wächst daran. Sie gesteht sich ihre Unzulänglichkeiten ein, und sie stellt sich ihnen.

Das alles macht Ristorante Paradiso zwar nicht perfekt, aber doch reichlich gut. Der Anime ist kein großer Wurf, allerdings will er das auch gar nicht sein. Das junge Studio david macht seine Sache besser, als man es angesichts seiner Entstehungsgeschichte erwarten könnte, schließlich wurde es doch von ehemaligen Gonzo-Mitarbeitern gegründet. Nach zwei Jahren, in denen man sich mit Produktionsassistenz etwa für Bones und Sunrise in das Geschäft einarbeiten konnte, erschienen in diesem Jahr gleich zwei eigenständige Produktionen – die ganz ordentliche OVA-Serie DOGS und eben Ristorante Paradiso. Natürlich war das Budget arg begrenzt, schließlich ist david immer noch ein junges Studio, und mit sonderliche DVD-Verkäufe kaonnte man auch nicht kalkulieren. Das sieht man dem Anime auch an, die Animationsqualität ist doch recht durchschnittlich. Aber ganz geschickt nutzt man seine anderen Möglichkeiten, um diesen malus auszugleichen. Insbesondere die Hintergründe sind recht simpel gestaltet, aber sehr ausgefallen und eigen und mit starken Strichen gezeichnet und koloriert, manchmal fast schon comichaft – vor allem aber sind sie stimmig und tragen viel zum Charme der Serie bei. Das selbe gilt für das Charakter-Design mit seinen deutlichen Konturen. Damit nimmt man einigen Druck von der Animationsabteilung, weil stattdessen andere optische Qualitäten punkten können.

Unter dem Strich ist Ristorante Paradiso ein sehr fein gemachter Anime, der dem Anspruch der NOISE-Reihe sicherlich gerecht wird. Hier und da muss man als Zuschauer etwas Motivation aufbringen, um weiterzuschauen – aber das ist dem Slice of Life-Genre geschuldet und nicht dem Anime; es kann eben keine cliffhanger geben. Ristorante Paradiso ist, wie die meisten Anime seiner Art, nicht unbedingt story-driven, sondern character-driven. Und genau da findet Ristorante Paradiso sein Alleinstellungsmerkmal – es erzählt die Geschichte einiger Menschen, deren Wege nicht erst noch bevorstehen, sondern sie schon wohin führten. Es geht nicht darum, dass die Charaktere gemeinsam etwas erleben, sondern darum, dass sie gemeinsam und miteinander das, was sie schon erlebt haben, reflektieren. Diese zusätzliche Ebene tut Ristorante Paradiso sehr, sehr gut.

Überhaupt, das Bärenhäuschen. Das Restaurant, der Ort, an dem man sich wohlfühlt – köstliches Essen, herrliche Weine, und der Umgang mit kultivierten Menschen. Das ist ein schönes Setting und vor allem eines, das nicht allzu häufig in Anime beackert wurde. Nicht oft stehen nicht nur Erwachsene im Mittelpunkt eines Anime, sondern sogar ältere Menschen von fünfzig und sechzig Jahren, die eben nicht nur die obligatorisch alberne natto natto natto-Folie zu den jugendlichen Avataren liefern. Das ist sehr angenehm und entspannend und mit Sicherheit eine willkommene und benötigte Abwechslung vom Einerlei des Programms. Heißt natürlich auch nicht, dass Ristorante Paradiso ein Meisterwerk ist; dazu gibt es einfach zu viele bessere Anime, in der einen oder anderen Hinsicht. Aber man ist trotzdem froh um einen Anime wie diesen. 7,5/10



[Via http://escapistolero.wordpress.com]

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